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DIAKA nimmt teil: "Blaulicht im Rotlicht: Polizeilicher Handlungsspielraum im Prostitutionsmilieu." Mit Simon Häggström in Ulm.

Gemeinsam mit dem Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, SOLWODI Baden-Württemberg e.V. und SISTERS hat DIAKA am 23. Juni 2023 in Ulm die Veranstaltung zum Thema "Blaulicht im Rotlicht: Polizeilicher Handlungsspielraum im Prostitutionsmilieu" durchgeführt. Als Experten auf dem Podium sprachen der schwedische Kriminalkommissar und Buchautor Simon Häggström und der 2. Vorsitzende von DIAKA, Kriminaloberrat a.D. Helmut Sporer. Die Moderation übernahmen Solveig Senft und Inge Bell. Dolmetscherin aus dem Englischen war Dr. Dagmar Engels.


Simon Häggström und Helmut Sporer in Ulm, Foto: Stefan Baumgarth
Simon Häggström und Helmut Sporer in Ulm, Foto: Stefan Baumgarth

Prostitution - Faszination und Mythos

Hartnäckig halten sich zahlreiche Mythen rund um das Thema Prostitution. Von Freiwilligkeit, Selbstverwirklichung und gutem Geldverdienen ist die Rede. Das Thema ist seit der Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002 salonfähig. Edelprostituierte, S&M-Studiobesitzerinnen, Dominas, Escort-Damen und Bordell- und Saunaclubbetreiber sind immer wieder Gäste in deutschen Talkshows und den Medien. Und sie alle nähren die Mythen der "sauberen" Prostitution, in der selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen freiwillig das schnelle und leichtverdiente Geld mit käuflichen Sex machen.

 

Aber entsprechen diese Schilderungen der Realität? Trifft dies auf die Mehrzahl der vielen Frauen in der Prostitution zu? Das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution hat zwei Experten auf diesem Gebiet zur Veranstaltung Blaulicht im Rotlicht: Polizeilicher Handlungsspielraum im Prostitutionsmilieu am Freitag, 23. Juni 2023 in die Handwerkskammer Ulm eingeladen.

 

Simon Häggström, Kriminalkommissar und Buchautor aus Schweden, arbeitet seit 15 Jahren an der Einführung des sogenannten Nordischen Modells und berichtete von seinen Erfahrungen und aus der Praxis. Eindrücklich schilderte er seine persönlichen Eindrücke aus Gesprächen mit den Frauen in der Prostitution. "Ich habe in meiner ganzen Zeit als Ermittler keine einzige Frau getroffen, die sich selbst als Sexarbeiterin bezeichnet hat." Prostitution "mache etwas" mit den Menschen und der Gesellschaft, so Häggström weiter. Man könne ein menschenverachtendes System, wie das der Prostitution, nicht von der Gesellschaft abkoppeln. "Welchen Sinn haben unsere Bemühungen zur Bekämpfung sexueller Belästigung und männlicher Gewalt zu Hause, am Arbeitsplatz oder auf der Straße, wenn es Männern gestattet wird, sich das Recht zu erkaufen, in der Prostitution dieselben Taten gegen Frauen und Kinder zu begehen?" Das Prositutionsgesetz in Deutschland mache unser Land zudem äußerst attraktiv für Menschenhändler, berichtete Häggström "Für Menschenhändler gilt in Deutschland: höchster Profit, kein Risiko!"

 

Diese Beobachtung teilte auch Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D. aus Augsburg und 2. Vorsitzender von DIAKA. "Deutschland wird zu Recht als das Bordell Europas bezeichnet. Die Polizei geht von etwa 250.000 Prostituierten aus und über eine Millionen Freier pro Tag" sagte Helmut Sporer. Auch er habe bei seiner Tätigkeit bei der Polizei festgestellt, dass die wenigsten Frauen selbstbestimmt und freiwillig in der Prostitution arbeiten. Offizielle Schätzungen gingen davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der Frauen sich nicht freiwillig prostituierten.

 

Zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Menschenhandels brauche es in Deutschland aber immer die Aussage des Opfers. Die Frauen seien aber in der Regel nicht in der Lage dem psychischen Druck Stand zu halten. Die Gesetzgebung erleichtere es den Akteur*innen die Frauen in der Prostitution auszubeuten und es sei nicht gelungen Menschenhandel einzudämmen. Das Gegenteil ist der Fall: Seit der Liberalisierung der Prostitution im Jahr 2002 kam es zu einem Anstieg der Prostituierten in Deutschland und zu einem Anstieg des Menschenhandels mit Frauen und Kindern zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Mit der geplanten EU Erweiterung auf dem Westbalkan werde sich die Lage weiter verschlechtern. "Klar ist," so Sporer, "im System der Prostitution profitieren die Bordellbetreiber, Zuhälter, Menschenhändler und nicht die Frauen, die in diesem System missbraucht werden."

 

Die Moderation der Veranstaltung übernahmen Solveig Senft und Inge Bell. Inge Bell, 1. Vorsitzende von DIAKA, verwies auf die brandaktuelle erste Forschungsarbeit zur rechtlichen, rechtsethischen und verfassungsrechtlichen Überprüfung der Prostitutionsgesetzgebung „Sexkauf - eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“. Inge Bell zitierte daraus Prof. Dr. Elke Mack, Sozialethikerin an der Universität Erfurt und eine der Autorinnen und Autoren. "Bei meiner Studie habe ich die größte Verletzung der Menschenwürde in Deutschland im Bereich der Prostitution identifiziert." Auch Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, ehemaliger Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof und Lehrbeauftragter an der Hochschule der Sächsischen Polizei komme bei der Studie zu dem Schluss: "Die Würde des Menschen wird in der Prostitution verletzt." Rommelfanger weiter: „Der Staat muss seiner Schutzverpflichtung nachkommen und die andauernden Rechtsverletzungen beenden“

 

Das Fazit aller Expertinnen und Experten auf dem Podium: Ein bundesweites Umdenken im Bereich der Prostitution ist längst überfällig! Wir hoffen, dass die aktuelle Studie "Sexkauf - eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution" von Mack und Rommelfanger die sachliche und fachliche Diskussion in Deutschland in Richtung Sexkaufverbot beschleunigen wird.

 

Nach zahlreichen Fragen aus dem Publikum, schloss Inge Bell die Diskussion mit einem Zitat der Überlebenden Sandra Norak "Prostitution ist Seelenmord".

 


O-Töne und Zitate aus der Veranstaltung

Simon Häggström

Kriminalkommissar und Buchautor, Schweden

"Ich habe in meiner ganzen Zeit als Ermittler keine einzige Frau getroffen, die sich selbst als Sexarbeiterin bezeichnet hat."

"Welchen Sinn haben unsere Bemühungen zur Bekämpfung sexueller Belästigung und männlicher Gewalt zu Hause, am Arbeitsplatz oder auf der Straße, wenn es Männern gestattet wird, sich das Recht zu erkaufen, in der Prostitution dieselben Taten gegen Frauen und Kinder zu begehen?"

 

Helmut Sporer

Kriminaloberrat a.D., Augsburg, 2. Vorsitzender von DIAKA

"Deutschland wird zu Recht als das Bordell Europas bezeichnet. Die Polizei geht von etwa 250.000 Prostituierten aus und über eine Millionen Freier pro Tag" "Im System der Prostitution profitieren die Bordellbetreiber, Zuhälter, Menschenhändler und nicht die Frauen, die in diesem System missbraucht werden."

 

Inge Bell

1. Vorsitzende von DIAKA

"Man kann Frauen in der Prostitution nicht schützen, man kann sie nur vor der Prostitution schützen"

"Prostitution ist menschenunwürdig und nie mit Gleichstellung der Geschlechter zu vereinbaren."

 

Marietta Hageney

SOLWODI Baden-Württemberg e.V., Mitglied im Ulmer Bündnis und bei DIAKA

"Prostitution ist nie die Lösung. Arme Frauen werden nicht reich, traumatisierte und verletzte Frauen werden nicht gesund und diskriminierte Frauen werden nicht weniger ausgegrenzt.

Die Sexindustrie lebt davon, dass Frauen und Mädchen in die Prostitution getrieben werden und sie hat perfide Methoden entwickelt, diese zu rekrutieren."

"Wir machen tagtäglich die Erfahrung, dass Prostitution für viele Frauen oftmals das letzte Glied in einer Kette aus Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Stigmatisierung, Armut und Perspektivlosigkeit ist. Die Frauen und Mädchen versuchen einer Welt voller Nöte zu entfliehen – doch der Weg aus der Not endet häufig im Elend."

 

Diana Bayer

Leiterin des Frauenbüros Stadt Ulm, Mitglied im Ulmer Bündnis

"Prostitution ist Gewalt gegen Frauen! Das hat das Europaparlament bereits 2014 in einer Resolution benannt und in der Istanbulkonvention festgeschrieben."

"Gesetze müssen insbesondere vulnerable, verletzliche Gruppen schützen. Der Großteil der Frauen in der Prostitution in Deutschland ist schutzlos, traumatisiert und hat keine Stimme in der Öffentlichkeit. Die Politik muss endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und ein Sexkaufverbot für Deutschland verabschieden."

 


Pressefotos

Helmut Sporer, Marietta Hageney, Simon Häggström, Dr. Dagmar Engels, Inge Bell, Diana Bayer, Solveig Senft, Foto: Stefan Baumgarth.
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Simon Häggström und Helmut Sporer, Foto: Stefan Baumgarth
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Simon Häggström mit dem DIAKA-Vorstand: Inge Bell und Helmut Sporer, Foto: Stefan Baumgarth.
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Das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution

DIAKA arbeitet eng mit dem Ulmer Bündnis zusammen. Das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution engagiert sich seit 2009 für mehr Problembewusstsein in der Bevölkerung und aktives Handeln bei Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern vor Ort und entlang der Donau. Es klärt auf zu Menschenhandel und sexueller Ausbeutung und macht sich stark für die Einführung des Sexkaufverbots. Prostitution ist mit der Menschenwürde und der Gleichheit der Geschlechter nicht vereinbar.

 

Informationen zum Ulmer Bündnis unter:

www.ulmer-buendnis-gmuz.de


Für weitere Informationen, Anfragen und Interviews stehen die Expertinnen und Experten des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse - DIAKA gern zur Verfügung.

 

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